Heute erschien eine Kolumne von mir in der bz. Redaktionelle Eingriffe können manchmal ein Segen sein, manchmal bauen sie aber auch falsche Fährten aus. – In diesem Fall war das letztere der Fall, deshalb zwei Anmerkungen.
Gute Zeiten, schlechte ZeitenEiner überlebte alle Katastrophen (1)
Anfang April 1921 warnte das „Arlesheimer Bezirksblatt“ eindringlich davor, aus der Schweiz ins Elsass auszuwandern. Auswandernde ohne Papiere würden von den französischen Behörden sofort zur Rückkehr gezwungen, und „bei Arbeitereinstellungen werden die Ausländer zuletzt, bei Entlassungen dagegen natürlich in erster Linie berücksichtigt.“ – Erstaunlich, wie sich die Zeiten ändern können.
Ein Zeuge der wechselnden Zeiten ist der Sundgauerhof, der seit über 300 Jahren mitten in Arlesheim steht und der soeben sorgfältig restauriert wurde. Als seine ersten Mauern errichtet wurden, gab es in Arlesheim etwa 70 Häuser. Er war eine ganz gewöhnliche Behausung unter vielen und der Bach floss noch frei durchs Dorf.
Der Sundgauerhof blieb stehen, als das Dorf im Dreissigjährigen Krieg geplündert, verwüstet und gebrandschatzt wurde. Er blieb, als dreissig Jahre später der Aufschwung kam, mit dem Einzug des Domkapitels. Er war da, als der Dom gebaut und die Ermitage eröffnet wurde. Er stand da, als das Dorf französisch wurde, als die jungen Burschen mit Napoleon in den Krieg ziehen mussten und nicht mehr nach Hause kamen. Er blieb, als das Dorf vom Wiener Kongress der Schweiz zugeschlagen wurde, als es wieder bergab ging die Ernten misslangen und die Bevölkerung grösste Not litt. Er überstand den Bürgerkrieg, die Kantonstrennung und den Kulturkampf. Er war Zeuge der Industrialisierung und des Siegeszugs des Automobils. (2)
Als in Arlesheim über das Auswandern ins Elsass nachgedacht wurde, stand er da. Er überstand all die grossen Katastrophen und Aufschwünge des zwanzigsten Jahrhunderts. 1978, als alle anderen gewöhnlichen Behausungen gleichen Alters verschwunden waren, wurde der Sundgauerhof zum geschützten Baudenkmal.
Heute, nach der Sanierung, geht es ihm so gut, wie noch nie. Und was würde er uns wohl raten? – Vielleicht: Horizont offen halten, gelassen bleiben und weniger Glücklichen helfen.
Jürg Seiberth
Autor, Texter und Gestalter,
Präsident Verkehrsverein Arlesheim
Redaktor BirsMagazin
(1) “Einer überlebte alle Katastrophen”
Der Titel meiner Kolumne war: “Gute Zeiten, schlechte Zeiten”. Ich wollte einen Kontrapunkt setzen zu all den Arlesheimer Jubelartikeln. Ich wollte zeigen, dass es in der Geschichte manchmal aufwärts, manchmal abwärts geht. Die Redaktion änderte den Titel in: “Einer überlebte alle Katastrophen”. So entsteht nun der Eindruck, ich wolle sagen, die Geschichte bestehe nur aus Katastrophen. Das entspricht aber gar nicht meiner Auffassung. Schade!
Noch etwas anderes: Ich habe mich bemüht in Zusammenhang mit den Dingen, die der Sundgauerhof überstand, immer mit Verben zu arbeiten, die zu einem Gebäude passen: stand da, überstand, war immer noch da … Weil ein Gebäude ja weder lebt, noch sieht, noch hört. – Auch in dieser Hinsicht ist der neue Titel inakzeptabel.
(2) Arlesheim und das Automobil
Aus unerfindlichen Gründen ergänzte die Redaktion meinen Text noch mit dem Halbsatz: War Zeuge … “des Siegeszuges des Autos”. Viel besser wäre gewesen “des Baus der Birseckbahn”. Interessant und speziell in Arlesheim ist ja, dass hier bereits zu Beginn der 20er Jahre mit der Birseckstrasse eine Umfahrungsstrasse gebaut wurde. Der Sundgauerhof erlebte den Siegeszug des Automobils deshalb nur in sehr abgeschwächter Form. Wegen der Birseckstrasse wirkt der Ortskern von Arlesheim – verglichen mit den Ortskernen der meisten Nachbargemeinden – auch heute noch recht intakt, ein Hauptgrund, für die Attraktivität von Arlesheim.