Verdrehungen

((BirsMagazin 1/2024, Fokus Humor))
Rubrik: Wortwörtlich

Von Jürg Seiberth

Am Geburtstag überreichte Big Bens Vater seinem Sohn eine grosse Tafel Schokolade und sagte dazu: «Weil du Schokolade ja so gar nicht magst.» Big Bens Vater liebte diese kleinen sprachlichen Verdrehungen: Er übertrieb, er untertrieb, er verdrehte ins Gegenteil, und er erntete stets Gelächter und Applaus, vor allem bei Kindern und älteren Leuten. Das war sein einfaches und wirkungsvolles Humorrezept. Er war so erfolgreich damit, dass er es immer häufiger anwandte. Im höheren Alter sagte er eigentlich immer das Gegenteil dessen, was er meinte. Seine Umgebung fand das zwar längst nicht mehr lustig, richtete sich aber darauf ein. Es war kein Problem, solange alle die Spielregeln kannten.

Eines Abends jedoch sass Big Bens Familie in einem gutbürgerlichen Restaurant und alle bestellten Suure Mogge mit Spätzli und Erbs-Rüebli-Gemüse. Big Bens Vater teilte der Kellnerin mit, dass man ihn mit Erbs-Rüebli-Gemüse jagen könne. Er tat es auf seine spezielle Art und so kam es, wie es kommen musste: Die Kellnerin kannte die Hintergründe nicht und brachte ihm eine doppelte Portion Erbs-Rüebli-Gemüse. Das war gut gemeint, doch Big Bens Vater betrachtete es als eine unverzeihliche persönliche Beleidigung. Das liess er die Kellnerin sofort wissen, und zwar ohne Verdrehungen, gradlinig und lautstark. Big Bens durften im Restaurant bleiben, aber sie wurden für den Rest des Abends vom Chef persönlich bedient.

Nichts ist so identitätsstiftend, wie im verschworenen Kreis immer das Gegenteil dessen zu sagen, wovon alle eigentlich überzeugt sind. Eine Strategie, die die Satire gern anwendet, vor allem, wenn sie auf totalitäre Regimes und eitle Autokraten zielt. Das ist eine Verschwörung zwischen Bühne und Publikum, gegen die die Zensur machtlos ist. Falls Sie daran denken, das Rezept der Verdrehung selbst gelegentlich anzuwenden, tun Sie es nur unter Eingeweihten und dosieren Sie fein, denn es ist mit den Humorrezepten wie mit den Medikamenten: Auf die Dosis kommt es an.

Begegnung mit einem flüchtigen Bekannten

Im Krimi-Podcast von Radio SRF kann man seit gestern das Hörspiel “Le Lavandou” hören. Geschrieben wurde es von einem flüchtigen Bekannten, nämlich von mir selbst im Jahr 1985. Erstaunliche Begegnung: Ich schrieb mit 30 Jahren über drei Menschen, die damals so alt waren wie ich heute. Gespielt werden sie von Anne Marie Blanc (“Gilberte de Courgenay”), Hans Helmut Dickow und Robert Tessen und in zwei kleine Gastauftritten: Screamin’ Jay Hawkins. Das waren zwei der vielen tollen Ideen des Regisseurs Charles Benoit.

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